Wie ich Geschichte schreibe

Kind am Steg

Kind am Steg, 1950er Jahre.

Wie ich Geschichte schreibe


"Schreiben heißt, Entscheidungen zu treffen." So lautet die Erkenntnis, die Professor Grady Tripp, Lehrer für kreatives Schreiben, aus einer lang anhaltenden Krise seines schriftstellerischen Schaffens zieht. So spricht es Michael Douglas in der Rolle des Tripp in dem Film "Wonder Boys" nach dem Roman von Michael Chabon.


Wer schreibt, hat sich bereits entschieden, für wen er schreibt. Ob bewusst oder unbewusst. Jeder Autor hat einen idealen Leser im Blick, für den er schreibt. Vor Jahren stand ich vor der Entscheidung: für die Wissenschaft oder für die Allgemeinheit. Ich habe mich entschieden und wende mich an den historisch interessierten Laien. Das bedeutet keine Abkehr von der Wissenschaft, wohl aber von jener in Deutschland anzutreffenden verqueren Annahme, wissenschaftliche Präzision auf der einen und sprachliche Eleganz und Verständlichkeit auf der anderen Seite seien unvereinbare Gegensätze.

"Er ist sehr gebildet! Er kann sich ganz unverständlich ausdrücken." So formulierte es der frühere Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ludwig Rosenberg, dessen Biografie ich verfasst habe. Und er legte ironisch nach: "Was keiner versteht - leuchtet allen ein." Hingegen forderte Rosenberg: "Auch komplizierte Vorgänge und Erkenntnisse müssen so dargestellt werden, dass sie ohne Fachchinesisch einer sich ständig selbst bestätigenden Wissenschaft dem Durchschnittsmenschen verständlich werden."


Naturgemäß kann nicht immer auf "Fachchinesisch" verzichtet werden. Theodor W. Adorno stellte bereits vor mehr als fünfzig Jahren zu der in Deutschland noch immer ideologisch und von jeher unter dem Banner der Abwehr des Fremden geführten Auseinandersetzung um das Fremdwort fest: "Fremdwörter sind die Juden der Sprache." Das ist ebenso treffend wie irritierend. Der Versuch, verständlich zu schreiben, führt daher auch keineswegs zwangsläufig dazu, auf Fremdworte zu verzichten, wo sie sinnvoll und notwendig sind, jedoch dort, wo sie lediglich der sozialen Abgrenzung dienen.


Wer so schreibt, dass ihn jeder verstehen kann, der verstehen will, setzt sich einem Verdacht aus. Dem Verdacht, schwierige Sachverhalte banalisieren, sie über das zulässige Maß hinaus vereinfachen zu wollen. Stattdessen gilt aber: Nur wer eine Sache wirklich durchdrungen hat, kann das Wesentliche auf den Punkt bringen und es angemessen darstellen. In diesem mitunter langwierigen Prozess des Durchdringens liegt ein wesentlicher Teil der Arbeit des Historikers verborgen. Die Forderungen der Geschichtsdidaktik, der Lehre von der Vermittlung der Geschichte, lauten daher auch: anschaulich machen, Vergleiche finden, abstrakte Themen in einer Geschichte verdeutlichen...


An diesen Prinzipien orientiert sich übrigens auch die "Sendung mit der Maus" im Westdeutschen Rundfunk. Daher verwundert es auch kaum, dass die Zuschauer von Maus, Elefant und Ente zu drei Fünfteln den Kinderschuhen bereits entwachsen sind.

... und ob ich mir zwar nicht schmeichle,

als hätte ich etwas Neues entdeckt,

so hoffe ich dennoch,

dergleichen Sachen vorgetragen

und erkläret zu haben,

die bisher nur verwirrt bekannt gewesen.


Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716

deutscher Philosoph



© Dr. Frank Ahland, Dortmund.