Geschichte des Menschen - Biografien

Walt Whitman,


einen der Väter der US-amerikanischen Dichtung aus der Zeit des Bürgerkriegs, trieb, überzeugt durch die Erfahrung des Krieges, sein egalitäres Credo noch weiter. Auch von den Dingen und ihrer Stellung zueinander hatte er ein klares Bild: "Ich glaube," schrieb er, "ein Grashalm ist nicht geringer als das Tagwerk der Sterne."


Wenn aber das Triviale ästhetisch ist, dann entscheidet die Perspektive darüber, was Kitsch ist und was Kunst. Und was sagt uns dieses urdemokratische, egalitäre Glaubensbekenntnis Whitmans über die Geschichtsschreibung? Geschichte ist immer die Geschichte der Menschen, ihrer Handlungen und Gedanken. Das Leben des einzelnen Menschen, jedes einzelnen Menschen steht für sich, unabhängig davon, ob er Großes geleistet oder verbrochen, ob er Dinge oder Menschen bewegt, ob er Bleibendes hinterlassen hat. Keines Menschen Leben und Wirken können zu gering für den Historiker sein.


Schwer lässt es sich auf dem Hintergrund eines solchen, demokratischen Menschenbildes rechtfertigen, Geschichte als Heldengeschichte, als die Geschichte "großer Männer" und "verdienter Persönlichkeiten" zu schreiben. Der Historismus aber, dessen Vorbild die meisten Biografen noch immer folgen, befördert ein Individualitäts- und Genieideal, das der Historiker Heinrich von Treitschke in einem Satz zusammenfasste: "Männer machen die Geschichte." Die Kehrseite solcher Verklärung und Vergöttlichung "großer" Menschen oder Genies sieht der Soziologe Norbert Elias zu Recht in der Geringschätzung gewöhnlicher Menschen.


Whitmans Diktum, heruntergebrochen auf die Geschichte vor Ort, veranlasst mich als Historiker, prinzipiell alle Menschen in den Blick zu nehmen. Jeden einzelnen ernst zu nehmen in seiner Persönlichkeit, in seiner Einzigartigkeit wie auch in seiner Gewöhnlichkeit.

junggesellen

Junggesellen-Verein Freiheit in Annen-Ardey vor 1933.

Ist dies eine Geschichtsschreibung von unten, anstelle der zu Recht kritisierten "Geschichte von oben"? Es ist weder das eine noch das andere. Es ist eine Geschichte aus der Perspektive der handelnden wie der behandelten Menschen. Es ist eine Geschichte, die den einzelnen Menschen in seinen Möglichkeiten und Begrenzungen beschreibt, ihn in jenem Beziehungsgeflecht betrachtet, das ihn als einzigartiges Wesen auszeichnet. Es ist eine Geschichte, die den ganzen Menschen auf seinen Feldern der Liebe, der Arbeit und der Mitwelt wahrnimmt.


Doch ist dies leichter gesagt als getan. Walter Benjamin brachte es auf den Punkt, als er feststellte: "Es ist schwieriger, der Namenlosen zu gedenken als der Berühmten." Da ist nicht allein die innere Hemmung vieler Zeitgenossen zu überwinden, das Leben der Namenlosen aus sich heraus zu würdigen. Da ist auch das Quellenproblem, dem sich der Historiker stellen muss. Wessen Leben sich nicht in den Akten oder sonstigen Überlieferungen widerspiegelt, wird kaum jemals erinnert werden können. Es sei denn, es finden sich noch Zeitzeugen, die den Nachgeborenen aus ihren persönlichen Erinnerungen ein Bild des Verstorbenen zeichnen können. Die Erinnerungen der "kleinen Leute" gilt es zu sichern. Ihre Erfahrungen gilt es, den Nachgeborenen verfügbar zu machen.


In den vergangenen Jahren habe ich mich auf unterschiedliche Art und Weise der Biografik zugewandt. Es begann mit der Rekonstruktion des Lebenslaufes der in Witten gebürtigen Politikerin und Publizistin Rosi Wolfstein-Frölich. Es setzte sich fort mit der Biografie Ludwig Rosenbergs, des früheren Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Und es fand und findet seinen Fortgang in einem Projekt unter dem Titel "Wittener. Biografische Porträts", das den ehrgeizigen Versuch einer Stadtgeschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven ihrer Bewohner unternimmt.


Sie sind interessiert? Sie haben noch Fragen? Sie wollen wissen, was das kostet? Rufen Sie mich an, schreiben Sie mir!

Ich zweifle nicht daran,

dass in alltäglichen Dingen weit mehr steckt,

als ich angenommen habe.


Walt Whitman, 1819-1892

US-amerikanischer Dichter

© Dr. Frank Ahland, Dortmund.